Gundula's Blog

Faszien und Faszientraining beim Pferd – altes Thema, neue Faszination

Auch im Pferdebereich sind die Faszien und ihr richtiges Training in aller Munde. Welch wichtige Rolle die Faszien für den gesamten Organismus und Bewegungsapparat eines Pferdes spielen und wie man ihre Funktion optimal erhält, verrät Autorin Gundula Lorenz.

Frühe Reitlehren wurden intuitiv, aus Beobachtungen und auch aus Erfahrungen aufgestellt. Heute kann man die Erkenntnisse und Inspirationen aus der Wissenschaft miteinbeziehen. Aus der Kombination von tradiertem Erfahrungsschatz und wissenschaftlichen Ergebnissen ergeben sich faszinierende Möglichkeiten, Pferden und Reitern neue Wege zu eröffnen – und das gilt in besonderem Maße auch für das Thema ,Faszien‘ und ,Faszientraining‘. Doch machen wir zuerst einen Blick zurück …

Zur Geschichte der Faszien
Arthur Jones (1926-2007) war ein Revolutionär im humanen Fitness-Bereich. Seine Leidenschaft war die Erforschung effektiver Trainingsmethoden, obwohl er weder Arzt noch Therapeut war. Als Tierfilmer beobachtete er auf Safaris Löwen, die 22 Stunden am Tag faul herumliegen und bei der Jagd plötzlich Spitzenkräfte entwickeln. Dadurch stellte er einen Trainingsansatz auf: Kurz, hart und unregelmäßig oder lang und gleichmäßig, aber niemals beides zugleich. 1998 entdeckten Kram und Drawson den Katapultmechanismus: damit können z.B.  Frösche, Heuschrecken oder Antilopen bei geringer Muskelmasse weit über ihre eigene Körpergröße hinaus springen. So wurde eine hocheffiziente Energiespeicherung für Bewegung in den Sehnen entdeckt. Auch das Pferd verfügt über diese Speicherenergie in den Sehnen, denn sonst müssten ja die Beugemuskeln der Extremitäten viel kräftiger sein. Man stelle sich zur Verdeutlichung vor, die Beugesehne des Pferdes wäre eine Feder und der Fesselkopf, der bei der Bewegung abwärts durchdrückt, das Gewicht. Die Feder wird gedehnt, speichert die Energie und federt dann ohne Energieverbrauch wieder zurück. So kann sich das Pferd (auch Hunde, die ein wolfähnliches Exterieur haben) über längere Strecken ökonomisch und effizient ohne viel Muskelkraft fortbewegen. Eine noch wenig beachtete, aber wichtige Arbeit der Faszien. Außerdem durchziehen sie auch als feines Netz alle Strukturen im Inneren des Körpers und umhüllen, stützen und verbinden sie.
Ganz neu ist das Thema der Faszie nicht. Nur seit geraumer Zeit sind die bildgebenden Techniken, wie z. B.  funktionelle Magnetresonanz, Realtime Ultraschallgeräte u. a.) so weit in der Entwicklung vorangeschritten, dass man die Fasern sichtbar machen kann.

  • Andrew Taylor Still (1828-1917), der Begründer der Osteopathie, beschrieb die Faszien damals schon als „die Universalität“. Er räumte ihnen weit mehr Funktionen ein als man bis dahin dachte. „Diese dem Menschen und allen Lebewesen vererbte Lebenskraft wirkt durch die Faszien von Mensch und Tier.“ – A. T. Still; Christian Hartmann, Das große Still Kompendium 1908.
  • Ida Rolf (1896-1979). Ihre Leidenschaft war das in Europa noch nicht so bekannte Yoga. Sie beschäftigte sich mit der Frage: Wie die Beschaffenheit der menschlichen Körperstruktur ist, damit sie im Einklang mit der Schwerkraft optimal und ergonomisch funktioniert. Für sie waren die Faszien das „Organ der Form“.
  • Elisabeth Dicke (1884-1952) war Krankengymnastin und entwickelte die Bindegewebsmassage, bei der Haut und Unterhaut gegen die Faszien verschoben wird.

Neuer Faszien-Boom
2007 begann dann erneut der Faszien-Boom. Auf dem Internationalen Faszien Research Congress in Boston wurde der Begriff der Faszie neu definiert:

  • Faszien sind alle faserigen Bindegewebsstrukturen, die den gesamten Körper wie ein Netzwerk durchdringen, umhüllen und strukturieren. Wie bei einer Orange die weiße Haut mit ihren Unterteilungen und ihren Kammern, kann man es sich auch im Körper vorstellen. Jede Körperstruktur, jeder Muskel, jedes Organ ist mit einer Bindegewebshülle umgeben und als eigene Einheit von der anderen getrennt, gehalten, gestützt und geschützt. So geben Faszien sowohl Stabilität als auch Mobilität.
  • Dazu gehören alle kollagen- und elastisch-faserigen Bindegewebe, insbesondere Gelenks- und Organkapseln, Bänder, Muskelhüllen, Membranen und Sehnen sowie flächige, feste Bindegewebsschichten.

Faszien bilden mit Muskeln, Sehnen, Knochen und Gelenken ein flexibles und bewegliches Team – vergleichbar mit dem „Tensegrity – Modell“ (Tension – Spannung; Integrity- Einheit). Im 20. Jahrhundert baute der Buckminster Fuller Kuppeln aus Glas und Stahl und gab diesem Spannungsmodell den Namen „Tensegrity“. Die festen Strukturen berühren einander nicht, sondern sind nur über das Spannungsfeld der Seile bzw. Faszien miteinander verbunden.

Kommt es durch eine Narbe (= wie ein gestopftes Loch, das keinen funktionellen Nutzen hat) zu einer Spannungsveränderung, können sich Auswirkungen an ganz anderen Stellen des Körpers bemerkbar machen – das Gleichgewicht zwischen Stabilität und Mobilität ist gestört! Um das Gleichgewicht von Mobilität und Stabilität zu gewährleisten, ist ein freies Gleiten der einzelnen Faszien Voraussetzung. Ist diese Verschieblichkeit eingeschränkt, spricht man von einer Faszienrestriktion – die physiologische Mobilität ist vermindert, und durch das Netzwerk der Faszien kommt es zu weitreichenden Problemen.

Woraus Faszien bestehen
Faszien bestehen aus einer Grundsubstanz, der Matrix, Wasser (63-69%), Zellen (Fett-, Bindegewebs- und Zellen des Immunsystems) und Fasern (Kollagen und Elastin). In der Matrix befinden sich alle Bindegewebsbestandteile und auch Proteoglykane. Proteoglykane sind vergleichbar mit kleinen Kügelchen, die Kompression von außen absorbieren. Werden sie zu sehr gedrückt, platzen sie. Auch das gebundene Wasser in der Matrix hat die Funktion, einwirkende Kräfte und Stöße zu absorbieren. Je nach Stärke und Dauer der Kompression dauert die Regenerationszeit der Proteoglykane 2-10 Tage. Man denke an Sattel, Longiergurt und Geschirr im Pferdesport. Diese üben Druck auf Rücken oder Schultern des Pferdes aus. Beachtet man die Regenerationszeit der Matrix nicht, kommt es z. B. zu Verklebungen und Restriktionen der Rückenlendenbinde (Fascia Thorakolumbalis). Verklebungen führen zu einer Verminderung der Stoffwechsellage und dadurch zu einer Minderversorgung des Gewebes. Laut Barbara Welter Böller (Fachschule für osteopathische Pferdetherapie Welter Böller) und Max Welter, Tierarzt, führt dies zu einem Zusammenziehen der Rückenlendenbinde und damit zu weiteren Problemen:

  • Der Pferderücken wird Richtung Senkrücken gezogen und die Gefahr der Entstehung von Kissing Spines steigt.
  • Die Rückenlendenbinde geht vorne in eine Faszie über, die die Aufhängung des Rumpfs zwischen den Vorderbeinen unterstützt. Faszienrestriktionen im Rücken haben auch negative Auswirkungen auf den Rumpftrageapparat.
  • Schweifwärts geht die Rückenlendenbinde in die Kruppenfaszie über, diese ist wiederum mit der Kniefaszie verbunden. Eine erhöhte Faszienspannung öffnet den Kniewinkel und erhöht das Spatrisiko.
  • Da die Rückenlendenbinde am Becken ansetzt, kann eine einseitige Verspannung zu einer Beckenblockade führen.

Wie Faszien funktionieren
Das Bindegewebe fungiert auch als eine Art Puffersystem. Über die Matrix gelangen Nährstoffe zu den Zellen und Stoffwechselendprodukte zu den Entsorgungszentren des Körpers. Fallen dem Körper mehr Abfallstoffe an als er entsorgen kann, werden diese im Bindegewebe zwischengelagert, bis es wieder freie Kapazitäten gibt. Dieses Puffersystem kann viele Jahre gutgehen. Ist das System endlich erschöpft, kommt es zum Auftreten von Mauke, Ekzemen, Allergien usw. Die Folgen sind eine Verschlechterung der Stoffwechsellage, Bewegungsunlust, Faszienverklebungen und -verfilzungen. Typisch für solche Pferde ist ein zähes, einlaufendes Bewegungsmuster oder ein nötiges „Weichreiten“ – und das jeden Tag auf Neue. Um Faszien, Sehnen Bänder, geschmeidig zu halten und erhalten – man sagt das Pferd hat Gummi – ist es wichtig einen Blick auf die Fasern im Bindegewebe zu werfen. Faszien beinhalten sowohl elastische Fasern, die die Dehnfähigkeit des Gewebes sichern, als auch kollagene Fasern. Kollagene Fasern bilden Bündel und sorgen für Stabilität und erhöhen die Belastbarkeit. Man kann sie mit Stahlseilen vergleichen, jedoch übersteigt ihre Belastbarkeit jene von Stahl um ein Vielfaches.

Auch hier ist es wichtig, im Training auf die Regeneration bzw. auf die Pausendauer zu achten. Warum? Ziel eines Trainings ist es, eine Anpassung des Gewebes und somit eine Leistungssteigerung zu erreichen. Setzt man einen Trainingsreiz, erfolgt zuerst ein Abbau des Kollagens. Erst dann erfolgt ein Zellaufbau über das vorherige Maß hinaus.
Wenn man das beachtet, erreicht man, dass Sehnen und Bänder kräftiger werden und beugt so Verletzungen vor. Denn Studien haben erwiesen, dass Fasziengewebe, das vorher träge wie ein Schaumstoffkissen war, durch richtiges Training seine Federkraft zurückgewinnen kann.

Faszien sind reich an Rezeptoren, die dem Körper die Grundlage für die Wahrnehmung von Bewegung, Lage im Raum oder auch die Information über die Stellung der einzelnen Körperteile zueinander liefern. In der Bewegungslehre wird dies mit dem Begriff „Embodiment“ bezeichnet, das so viel wie „sich zu Hause fühlen“ heißt. Pferde, die über ein gutes Embodiment verfügen, haben intakte Faszien. Anders sieht es bei Pferden aus, die sich ständig verletzen, sich ständig auf die Beine treten etc. Sie nehmen ihren Körper nicht gut wahr, oder anders gesagt, sie spüren sich kaum. In solchen Fällen sollte man unbedingt an die Faszien und Faszienfitness denken. Stress beeinflusst das Embodiment. Dr. Robert Schleip (Faszienforscher) entdeckte in den Faszien kleine glatte Muskelzellen, die durch das unwillkürliche Nervensystem gesteuert werden. Gelangt der Organismus unter Stress, wird der Körper in hohe Leistungsbereitschaft versetzt, jedoch kommt es auch zu einem Zusammenziehen der glatten Muskelzellen, und somit der Faszien.  Auch Angst und Schmerz lösen diese Reaktion aus. Somit ist es erklärbar, warum es in diesen Momenten zu Steifheit und zu plötzlichen Verletzungen in Gelenken, Muskeln und Bändern kommen kann. Ein losgelassenes Pferd bewegt sich geschmeidig, weicher, harmonischer und auch leiser als ein verspanntes.

Wozu Faszientraining?
Faszien und Bindegewebe leisten Enormes für den Körper, und mehr Beachtung der Faszien im Training dient nicht nur der Leistungssteigerung und besseren Regeneration, sondern auch der Prävention. Ziel eines Faszientrainings ist eine „ausgeglichene“ Wohlspannung im Organismus in Form von Geschmeidigkeit, Losgelassenheit und Harmonie. Sich über die „Wartung“ der Faszien von Pferd und Reiter (für diese gilt das Gleiche wie für die Pferde) zu informieren, lohnt sich in jedem Fall!
Worauf kann man beim Training unbedingt achten sollte:

  1. Bevor Sie zum Pferd gehen, atmen Sie bitte 10-mal tief durch, sodass sich ihr Bauch hebt und senkt und lassen damit allen Stress von der Arbeit in der Arbeit.
  2. Putzen Sie das Pferd mit einem weichen Gummistriegel mit kreisenden langsamen Bewegungen, damit regt man den Stoffwechsel und Durchblutung an. Achten Sie auf die Reaktion des Pferdes, es darf zu keiner Abwehrreaktion kommen.
  3. Reiten Sie am Beginn ihrer Trainingseinheit mindestens 10 Minuten, bei kälterer Jahreszeit länger, Schritt am langen Zügel in einem gemächlichen Tempo und nicht übereilt. Nehmen sie auch hier schon große Wendungen in ihrer Linienführung mit.
  4. Ist Ihr Pferd im Winter zugedeckt, gehen Sie mit einer Abschwitzdecke warm, verwenden sie evtl. auch Bandagen oder Gamaschen.
  5. Das Spannungsnetz der Faszien benötigt multidirektionale Bewegungsreize, dazu eignen sich sowohl Längsbiegung, als auch Vorhandwendung, Hinterhand – und Seitengänge. Z.B. Tour verkleinern und vergrößern; zwischen Zirkel und geraden Linien wechseln.
  6. Achten Sie auf gleichmäßige Gymnastizierung auf beiden Händen.
  7. Nehmen Sie Stresszeichen wahr!
  8. Gönnen Sie der Rückenlendenbinde Regeneration und wechseln Sie Bodenarbeit mit Reiten ab.
  9. Verbinden Sie Bekanntes mit Unbekannten.
  10. Werden die Bewegungen laut, stampfend und unelastisch, muss eine Pause erfolgen.
  11. Geben Sie dem Pferd während des Trainings Pausen im Stehen am langen Zügel.
  12. Trainieren sie das Pferd individuell!

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