Was tun, wenn der Sattel rutscht?
Oft kontaktieren mich ReiterInnen mit der Bitte, den Sitz ihres Sattels mit dem Satteldruck-Messpad zu überprüfen. Dieses legt man statt der Satteldecke unter den Sattel auf das Pferd und kann mit Hilfe integrierter Sensoren den Druck überprüfen, der auf den Pferderücken einwirkt, und zwar sowohl im Stand als auch in der Bewegung mit dem Reiter im Sattel.
Dabei höre ich oft: „Ich sitze schief, mein Sattel rutscht zur Seite….“ Ein naheliegender Schluss ist, dass der Sattel eben nicht mehr passt. Sich darüber Gedanken zu machen, ist grundsätzlich sehr lobenswert, denn der Sattel ist für das Wohlbefinden beim Reiten von überragender Bedeutung, und zwar sowohl für den Reiter als auch für das Pferd. Man kann ihn am ehesten mit einem Schuh vergleichen: Passt er perfekt, kann man wunderbar entspannt herumlaufen – doch drückt er irgendwo, wird das Gehen rasch zur Qual. Stellt euch nur vor, ihr müsstet mit Bergschuhen, die drücken oder viel zu eng sind, auf einen Berg hinaufgehen. Allein beim Gedanken daran krampft sich in uns alles zusammen …
Doch zurück zum Sattel-Check. Zuallererst überprüfe ich den Sattel auf eine mögliche Asymmetrie. Doch hier stellt sich sogleich das Henne-Ei-Problem: Wird das Rutschen von einer ungleichmäßigen Polsterung verursacht oder hat sich etwa der Sattelpolster auf Grund einer einseitigen Belastung verformt?
Da der Sattel die Verbindung zwischen dem Pferdekörper und dem Reiter darstellt, muss nicht immer der Sattel die Ursache des „Schiefsitzens“ sein. Das System Reiter-Sattel-Pferd besteht eben aus diesen drei Bereichen, und die Ursache des Rutschens kann in jedem davon begründet sein – und jeder Bereich hat Rückkoppelungen bzw. Rückwirkungen auf die anderen: Sitzt der Reiter immer einseitig, wird die Polsterung des Sattels vermehrt gedrückt und der Sattel bekommt in weiterer Folge auch eine ungleiche Polsterung – das kann eine Folge sein, und nicht die Ursache. Der Sattel folgt der Bewegung des Pferderückens – aber natürlich kann auch der Reiter über den Sattel die Pferdebewegung beeinflussen.
Gehen wir einmal von einem intakten, passenden Sattel mit ordentlicher Polsterung aus, dann gibt es noch weitere Faktoren, die die Ursache dafür sein können, dass ein Sattel nach rechts oder links rutscht.
Wie aber kann ich feststellen, was die wahre Ursache des Problems ist und wo die „Nadel im Heuhaufen“ begraben liegt? Dazu bedarf es einer umfassenden, mehrstufigen Analyse.
Beginnen wir einmal beim Pferd:
Am besten stellt man das Pferd geschlossen hin und betrachtet es von der Seite.
- Ist ein Vorderbein rückständig (aus welchem Grund auch immer), so könnte das ein Grund sein, dass der Sattel zu dieser Seite rutscht. Auffällig ist die Muskelatrophie hinter dem Schulterblatt (siehe Foto 1) an der anderen Körperseite, da sich hier der Sattel mit dem Kopfeisen quasi einhakt.
Betrachtung von hinten bei geschlossenen Hinterbeinen:
- Wie sieht die Kruppe aus, fällt eine Seite der Kruppe tiefer ab (siehe Foto 2) oder ist sie annähernd symmetrisch? Wichtig ist das Muskelrelief rechts und links. Pferde sind von Natur aus schief und werden erst durch gymnastizierende Arbeit geradegerichtet.
- Auch sollte man die Sattellage rechts und links am Pferd vergleichen. Hier am Bild (Foto 3) fällt die linke steiler ab als die rechte?
- Therapeuten/Osteopathen u.a. können auch die Referenzpunkte des Beckens im Stand überprüfen. Wird im Stand eine Schiefe befundet, kann auch dies ein Grund des Rutschens sein.
- Wird das Becken im Stand gerade befundet, heißt es noch nicht, dass es auch in der Bewegung (gerade und gebogene Linie) symmetrisch ist. Das Bewegungsmuster kann etwas anderes ergeben – z.B. die rechte Kruppe sackt mehr ab als links, oder umgekehrt, auch eine Möglichkeit, dass der Sattel nach rechts/links rutscht.
- Setzt das Pferd den Reiter auf gebogenen Linien nach außen, kann dies auch mit muskulären Defiziten des Pferdes zusammenhängen.
Als weiteren Aspekt haben wir den Reiter:
Dieser übt einen wesentlichen Einfluss auf die funktionelle Pferd- Sattel- Reiter Einheit aus (als Vergleich denke man an Mensch-Sattel-Fahrrad). Denn wir wollen ja dem Pferd mitteilen, was wir wollen – und tun das mit unseren Hilfen, vorrangig den Gewichts- und Schenkelhilfen und dann erst den Zügelhilfen.
Reiten ist nicht nur ein Sitzen am Pferd und Sich-tragen-Lassen, sondern eine sehr komplexe Bewegungsaufgabe, die vom Reiter Mobilität im Bereich Lendenwirbelsäule-Becken-Hüfte, Stabilität des Rumpfes und die Koordination beider abverlangt.
Einerseits soll das Becken den Rhythmus des Pferdes aufnehmen und dann in weiterer Folge beeinflussen können, doch andererseits soll der Reiter auch einen stabilen Rumpf aufweisen. Es braucht also Mobilität und Stabilität gleichermaßen.
Wenn wir den Reiter statisch betrachten, so können Beinlängen-Differenzen und Beckenschiefstand durch Sattel und Steigbügel bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden.
Aber wie sieht es aus, wenn Dynamik ins Spiel kommt. Dynamik bedeutet ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Halte- (Stabilität) und Bewegungsaufwand (Mobilität) herzustellen und sich dabei gleichzeitig mental wohl und sicher zu fühlen.
Das volle Potential kann der Reiter nur abrufen, wenn sein Körper ein ausgewogenes muskuläres Gerüst mitbringt (man spricht hier von Grundlagen), auf denen reitsportspezifische Fertigkeiten aufgebaut werden können.
Das wiederum bedeutet, eine einseitige Belastung im Sattel kann durch folgende Faktoren beim Reiter hervorgerufen werden:
- Eine Beinlängendifferenz verleitet den Reiter dazu, die „sichere“ Seite zu suchen (legen Sie ein Buch mit ca. 1cm Dicke auf den Boden und stellen Sie einen Fuß auf das Buch, das zweite neben auf den Boden und beobachten Sie sich, wie Sie belasten).
- Ein Beckenschiefstand kann den Reiter dazu verleiten, sich ein asymmetrisches Reitmuster anzulernen, dass z.B. die freie Bewegung des Beckens (Mobilität) einschränkt.
- Einfach betrachtet, führen eingeschränkte Mobilität, mangelnde Stabilität und schlechte Koordination IMMER zu einem Leistungsverlust (Achtung: auch ein mehr wollen als können!) mit Folge, dass der Körper des Reiters Ausgleichsbewegungen vollführt, die zu einer einseitigen Belastung im Sattel führen können.
Ihr seht es ist nicht übertrieben, wenn ich von der „Nadel im Heuhaufen“ spreche.
Einen letzten Tipp kann ich euch noch ans Herz legen, um zu beurteilen, ob das Problem eines rutschenden Sattels eher vom Pferd oder vom Reiter herrührt: Betrachtet zusätzlich das gesattelte Pferd im Gang von hinten. Rutscht der Sattel schon ohne Reiter zur Seite, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Bewegungsmuster des Pferdes das Rutschen des Sattels verursacht.